Dieses feinfühlige Wahrnehmen, das wir (hoch)sensiblen Mütter und Väter oft haben, ist eine so wunderbare Qualität und für unser Umfeld oft ein grosses Geschenk. Feinfühlig sein oder im Schweizerdeutsch auch „gpürig si“ ist genau das, was Babys und Kleinkinder brauchen: feinste Veränderungen im Gesicht des Babys wahrnehmen, das emphatische Fühlen von Stimmungsveränderungen, voraussehen, was das Kleinkind braucht, damit es ihm auch eine Stunde später noch wohlig ist, und Intuition, warum das Kind schreit, denn mit Worten kann es sich noch nicht ausdrücken. Was gibt es Schöneres für Kinder, in einem solch zugewandten und auf ihre Bedürfnisse eingehenden Umfeld aufzuwachsen?
Dann werden die Kinder grösser, im ersten Schritt steht der Kindergarten an, später dann die Schule. Damit sind die Kinder auf dem Weg zur Selbstständigkeit und in ihr eigenständiges Leben – einige früher, andere später.
Auf diesem Weg begegnen uns hochsensiblen Müttern und Vätern einige Herausforderungen, manchmal fühlen sie sich wie Stolpersteine an und sind doch wunderbare Qualitäten, die am richtigen Ort zu strahlen beginnen.
In den Coachings der letzten 10 Jahre begegnen mir immer wieder gewisse Herausforderungen in der Begleitung von Eltern, diese finde ich auch bei mir selbst. Sie tauchen vor allem auf in den Bereichen
- sensorische Sensitivität,
- imaginäre Sensitivität und
- emotionale Sensitivität.
Übrigens gibt es laut James T. Webb – mit seinen Beobachtungen arbeite ich gerne – noch den Bereich der psychomotorischen und intellektuellen Sensitivität. Nun folgt ein Einblick in die Stolpersteine und auch in die Qualitäten dieser verschiedenen Bereiche.
Sensorische Empfindsamkeit/Sensitivität
Hochsensible Menschen zeichnen sich durch ihre anders ausgeprägte Fähigkeit aus, Reize zu filtern. Sie nehmen mehr wahr und brauchen mehr Zeit, um diese zu verarbeiten. Überhaupt nehmen sie verschiedene Sinnesreize wie visuelle, taktile, akustische Reize, Gerüche und Geschmack intensiver wahr. Diese starke Empfindsamkeit verlangt nach Rückzug und Regeneration. Mit kleinen Kindern ist die Möglichkeit von Pausen, und auf die eigenen Bedürfnisse im stimmigen Tempo zu achten, massiv eingeschränkt. Das kann zu Erschöpfung und schwindender Energie führen. Diese Erziehungsalltage sind ganz schön anstrengend; es gibt kaum Pausen, manchmal wird man mit intensiven Geräuschen wie Schreien konfrontiert, permanente Präsenz ist erforderlich und dann der Schlafmangel. All das kann einen an die Grenzen der eigenen Kraft bringen, was unsere Reaktionen auf die Kinder verändert. Laut werden, aus Hilflosigkeit zu Strafen greifen, physisch oder körperlich grob werden, zu solchen Reaktionen kann es kommen. Manchmal gesellen sich noch Schuldgefühle dazu, denn so fühlt sich die Begleitung der Kinder nicht stimmig an.
Darum ist es umso wichtiger, dass du sehr gut auf deine Energie achtest. Plane Pausen ein und sprich dich mit deinem:deiner Partner:in ab. Dabei ist es sehr sinnvoll, wenn beide Eltern schon früh in den Erziehungsalltag eingebunden sind, damit das Kind ohne Schwierigkeiten von beiden Elternteilen begleitet werden kann.
Mit kleinen Auszeiten – und sei es nur ein kurzer Tee auf dem Balkon –, ein Napp im Bett, ein Spaziergang, sich wenn möglich in den Nächten abwechseln, damit sorgst du für dich und deine Bedürfnisse. Eine Bekannte erzählte mir, dass sie sich auch akustisch ab und zu mit Ohrenstöpseln geschützt habe. Es ist völlig in Ordnung, Entlastungsangebote aus dem Umfeld oder auch professionelle Angebote wie Kitas usw. zu nutzen. Neben den Pausen und der Möglichkeit, Energie zu schöpfen, war das, was mir sehr gefehlt hat in dieser Zeit, die intellektuelle Herausforderung. Geht es dir auch so? Wie ist dein Bedürfnis? Liest du gerne, nimmst du an Webinars teil oder besuchst du Kurse?
Für das Wohlbefinden deines Kindes ist es grundlegend, dass es dir gut geht. Sicher spürst du in den Momenten mit dir selbst, was dir guttut und was du brauchst.
Imaginäre Sensitivität
Dieser Bereich zeichnet sich durch eine grosse Vorstellungskraft und blühende Fantasie aus. Das kann sich als positiv und inspirierend erweisen, aber auch mit grossen Sorgen und Ängsten verbunden sein. Einerseits beflügelt dich diese Sensitivität, z.B. beim Schreiben eines Textes oder beim stimmigen Einrichten eines Zimmers. Diese Vorstellungskraft lässt allerdings imaginär sehr sensitive Mamis und auch Papis in den Nächten wach liegen. Die eigene Phantasie, was alles geschehen könnte, beflügelt dann die Gedanken. Der Effekt ist dann leider oft, dass sich der Sorgenberg auftürmt und an Schlafen fast nicht mehr zu denken ist. Vor vielen Jahren hat mir jemand einmal gesagt: Liebe deine Ängste. Irgendwie hatte diese Person recht.
Wenn ich z.B. an den Strassenverkehr denke, machen diese angstvollen Gedanken Sinn. Sie laden dazu ein, den Kindern eine sehr sorgfältige Verkehrserziehung zukommen zu lassen. Ängste gehören zum Elternsein, aber wenn sie zu stark werden, kann das belasten. Aus meiner Beobachtung sind vor allem die Übergangsphasen wie der Eintritt in den Kindergarten, die Schule, bei älteren Kindern Reisen die Zeiten, die die eigenen Ängste aktivieren.
Was hier oft nützt, ist die Selbstreflexion, einen Schritt zurückzutreten, damit es gelingt, distanzierter auf die Situation zu blicken. Das hilft, etwas einzuordnen und in einen Kontext zu stellen. Dann das liebevolle Selbstgespräch: Ja, du hast jetzt Angst, und sich so anzunehmen, ähnlich dem, wie du dein Kind liebevoll in seinen Ängsten begleitest.
Manchmal können die Ängste und intensiven Gefühle uns überrollen. Da ist alles hilfreich, was erdet, z.B.:
- auf eine Matte auf dem Boden liegen, den eigenen Körper mit einem Body Scan spüren,
- den eigenen Atem beobachten, die Hände können dabei auf den Brustkorb oder den Bauch gelegt werden,
- Bewegung, wie Spazierengehen, Schwimmen, Laufen, kann hilfreich sein,
- das Gespräch mit einem:einer nahen Freund:in.
Mit welchem Vorgehen bezüglich deiner Ängste machst du gute Erfahrungen?
Und wie soll das nun alles zu Stärken werden?
Indem man dieser Kreativität und Fantasie Raum gibt, entfaltet sie sich, stärkt dich, und du kannst daraus Kräfte schöpfen. Dazu eignen sich z.B. Malen, ein Skizzenheft mit schnellen Zeichnungen, Schreiben, z.B. ein Tagebuch führen, kreatives Gestalten oder auch Musizieren.
Wie gibst du deiner Phantasie und Kreativität Raum?
Emotionale Sensitivität
Ein besonderes Merkmal von sensiblen/hochsensiblen Menschen sind ihre intensiven Gefühle. Sie zeichnen sich durch ihre Komplexität, Empathie, Verbundenheit und ihr Mitgefühl aus. Dieses lebendige und intensive Innenleben ist grossartig, eine Schatztruhe, die das Leben bereichert.
Manchmal werden wir gerade dadurch so gefordert. Abgrenzung und das Bei-sich-Bleiben können dabei ein grosses Thema sein. Kleine Kinder brauchen diese grosse emotionale Nähe, dich auch als Hüter:in der guten Stimmung in der Familie. Irritationen und schlechte, angespannte Stimmungen bei deinem:deiner Partner:in oder den Kinder sind für dich anstrengend und können dich erschöpfen. Es ist gar nicht so einfach, einen guten Weg mit den Gefühlen der anderen zu finden.
Das feine Erspüren von kleinsten Nuancen der Stimmungen, es ist so wichtig bei kleinen Kindern. Bei grösseren Kindern kann gerade diese Fähigkeit dazu führen, die Probleme der Kinder vor ihnen wahrzunehmen, diese zu übernehmen und für sie zu lösen. Leider nimmt man so den Kindern auch die Möglichkeit, zu lernen, wie man mit Problemen umgeht.
Vermutlich kennst du das auch, dass Gefühle lange nachhängen, bis sie verdaut und reguliert sind. Von aussen wirke ich ruhig, im Inneren tobt ein Gefühlssturm, der manchmal Tage braucht, bis er sich beruhigt hat.
Gerne gebe ich dir einen Einblick, was mir in den Jahren beim Umgang mit meinen Gefühlen geholfen hat.
- Wenn Probleme mit oder bei deinem Kind auftauchen, lohnt sich die Frage: „Wessen Problem ist es?“ Falls das Problem bei deinem Kind liegt, lasse es dort und ermutige dein Kind, es selbst zu lösen.
- Beim Abgrenzen hat mir sehr wesentlich die entwicklungsorientierte Marte Meo-Methode geholfen. Bei dieser Methode wird sehr gut beobachtet, was mir dabei geholfen hat, emotionale Signale zu lesen und allenfalls auch bei meinem Gegenüber zu lassen. Unterstützend wirkt dabei das Verbalisieren von Gefühlen, wie z.B. beim Kind: „Das ärgert dich jetzt.“ Dieses Vorgehen gibt die Möglichkeit, die Gefühle beim Gegenüber zu belassen. Auch sich selbst durch das Verbalisieren sichtbar zu machen in seinen Gefühlen unterstützt bei deren Annehmen und Regulieren. Ein wichtiger weiterer Aspekt der Abgrenzung ist vermutlich auch die Frage, wie gut man sich selbst und seine Bedürfnisse spürt. Vielleicht brauchst du ab und zu einen Moment für dich, um in deine Welt einzutauchen und deinen Bedürfnissen nachzugehen.
- Vielleicht kennst du sie auch, diese Tage mit Gefühlsknoten. Du hast etwas erlebt, kannst es aber nicht so recht einordnen und bleibst bei diesem Thema gefühlt Tage hängen. Mir hilft in solchen Situationen oft Selbstreflexion, das Laufen oder auch das Tagebuchschreiben.
Wie erlebst du die Schatztruhe deiner Gefühle und wie gehst du mit den Herausforderungen um?
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