Alles liegt bereit für den Bau eines nicht ganz unkomplizierten Hauses aus Architekturkarton. Die Idee von Lena (11 J.) war zu Beginn eine andere. Sie baue gern einfach drauf los, sagte sie. So ist Lena auch gestartet. Ihre Ideen purzeln eine nach der anderen aus ihrem Kopf. Fliessend und kreativ setzt sie alles um. Doch schnell zeigt sich, dass sich mit dieser Vorgehensweise das eine oder andere Problem wie z.B. die Unstabilität des Hauses entwickeln kann.
So schlage ich vor, dass wir zuerst einen Plan machen, Auf-, Grund- und Seitenriss zeichnen und diesen dann mit dem anspruchsvolleren Architekturkarton bauen. Sie meint zu Beginn: «Ich bin halt nicht so geduldig und genau arbeiten ist auch nicht mein Ding.» Ich bin beeindruckt, mit welcher Überzeugung Lena das von sich denkt. Diese Selbstbilder kenne ich von mir selber. So habe ich lange gedacht, dass ich nicht schreiben könne, mit dem Effekt, dem Schreiben, das ich im Grunde genommen ausserordentlich gern mache, auszuweichen. Ich habe mir damit das Lernfeld und eine Entwicklung beim Schreiben selber verwehrt. Genau das passiert bei Kindern oft.
Vor allem Kinder mit Lernschwierigkeiten leiden manchmal an einem negativen Selbstbild und sind auch entmutigt. Der Fokus bei den Begleitungen dieser Kinder liegt oft auf den Schwierigkeiten und Schwächen. Das hat einen Effekt auf ihr Selbstbild und auf ihr Selbstvertrauen.
Lena ist hochbegabt und hat Lernschwierigkeiten. Es gibt Lernfelder, da ist es wichtig, dass sie nachsichtig mit sich selber ist und z.B. die Spannung von hohem Denktempo und eher langsamen Fähigkeiten in diesem Bereich aushalten kann. Es verlangt ihr eine grosse Frustrationstoleranz ab. Gleichzeitig können ihre Glaubenssätze (Ich kann nicht so exakt arbeiten, planen liegt mir nicht usw.) verhindern oder erschweren, dass sie in Lernbereichen mit und ohne Lernschwierigkeiten ihr Potenzial wirklich ausschöpft und in seinem Lernprozess voranschreitet.
Im Zusammenhang mit diesen Glaubenssätzen und erschwerten Umständen gefallen mir die Gedanken und Überlegungen des österreichischen Instituts für Begabungsförderung. Mehr Informationen dazu gibt es unter Familie macht stark; Impulse setzen, Stärken entdecken
Stärken und Interessen fördern auf jeden Fall
Hilfreich für den Umgang mit Selbstbildern und Glaubensätzen finde ich folgende Gedanken:
Man kann sich den Antrieb für das eigene Lernen als Lernmotor vorstellen. Dieser Motor sitzt in einer Lokomotive, die mehrere Eisenbahnwagons zieht. Die Kraft nimmt der Lernmotor der Lokomotive aus den Interessen und Stärken. Beim Fahren zieht sie auch Wagons mit Rädern, die vielleicht nicht so gut laufen. Übertragen könnte das vielleicht die Aufmerksamkeit, Rechtschreibung, Lesen, Sprechen usw. heissen. Diese Lokomotive hat mit ihrem Lernmotor so viel Kraft, dass sie auch die Wagons mit quietschenden Rädern, die nicht so gut laufen, mitzieht. Das Kind erlebt auf diese Weise auf seinem Lernweg Motivation und Selbstvertrauen. Das Lernen macht für das Kind so Sinn. Das tönt jetzt alles ein bisschen theoretisch, während meiner 10 Jahre Erfahrungen aus der Praxis erachte ich diese Gedanken und Vorgehen aber als ausserordentlich sinnvoll und hilfreich für die Kinder. Manchmal dauert es etwas länger, bis die Kinder anfangen, anders von sich zu denken. Andere Male geht es rasch, wie z.B. bei einem 9-jährigen Mädchen, das von sich sagt, es könne keine Hunde zeichnen, und mit ihrem ersten Versuch sogar beweisen kann, dass das nicht so ist. Ich regte sie an, es einfach auszuprobieren. Wenn es nicht klappt, passiert ja nichts. So kann ich ihr den Druck etwas nehmen, mit dem sofortigen Effekt, dass der gezeichnete Hund so aussieht, wie sie es sich wünscht.
Lena werde ich weiterhin begleiten. Vor kurzem sollte sie den Architekturkarton sehr genau zuschneiden. Da kam von ihr die Aussage: «Das kann ich nicht gut. Ich bin halt nicht so genau.» Meine Antwort war: «Das weiss ich.» Ich bin nicht weiter darauf eingegangen und habe sie arbeiten lassen. Irgendwann war das Projekt fertig gestellt. Lena hat ihr Projekt mit viel Elan fotografiert. Die Freude über ihr Projekt war spürbar. Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis Lena (11 J.) anfängt, sich zu denken, dass sich Geduld lohnt und er gar nicht so ungeschickt ist, sie Lust hat, neue herausfordernde Projekte anzugehen, ohne dass ihr ihre Gedanken im Weg stehen.
Sehr gerne berate ich Sie zu diesen Themen, stelle eine Förderplanung für Ihr Kind zusammen oder begleite Ihr Kind in meinem Atelier.
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