Oft stehen Herausforderungen in der Begleitung von hochsensiblen Kindern im Zusammenhang mit den Grundmerkmalen der Hochsensibilität. Häufige Probleme drehen sich um sensorische Empfindsamkeit. Konflikte beim Essen, Schwierigkeiten mit Kleidung oder Probleme bei Übergängen fordern Kinder und ihre Eltern heraus. Diese Herausforderungen können vielschichtig sein.
Beobachtungen aus meiner Praxis
Mira (6 Jahre, fiktives Fallbeispiel) schmiegt sich beim ersten Treffen eng an ihre Mutter. Sie beobachtet neugierig, spricht aber zunächst wenig. Über ihre Interessen öffnet sie sich allmählich und beginnt selbst zu erzählen. Mira nimmt sehr viel wahr und benötigt einige Zeit, um im Raum anzukommen. Sie schaut sich alles intensiv an. Ein neuer Raum und ein neuer Mensch bedeuten für sie zahlreiche neue Eindrücke: Gerüche, visuelle Informationen, Raumwahrnehmung, soziale Signale des Gegenübers, mögliche Erwartungen, vorhandene Emotionen und vieles mehr. Mit einer offenen Reizwahrnehmung treffen deutlich mehr Reize auf das Kind ein, weshalb es länger dauert, sich in der neuen Situation einzufinden.
Tobias (8 Jahre, fiktives Fallbeispiel) wird in den Videos des videobasierten Elterncoachings mit der Marte Meo-Methode beobachtet. Er ist sozial sehr aufmerksam, beobachtet die Signale und Gefühlsnuancen seiner Mutter genau und reagiert blitzschnell darauf. Manchmal so schnell, dass seine Mutter es gar nicht realisiert. Er ist emotional äusserst sensitiv und nimmt feinste Stimmungsänderungen wahr. Diese emotionale Sensitivität führt oft zu Schwierigkeiten mit der Abgrenzung oder zu übermässige Anpassung in der Schule.
Was ist Hochsensibilität und wie erkennt man sie?
Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal von Kindern und Erwachsenen, das sich durch eine intensivere Wahrnehmung äusserer und innerer Reize auszeichnet. Hochsensible Kinder benötigen oft mehr Zeit, um in neuen Situationen anzukommen, und viel Ruhe, um die Vielzahl an Reizen zu verarbeiten. Da sie vieles intensiver aufnehmen, reagieren sie oft stärker auf ihr Umfeld. Damit sich ihre Veranlagung zu einer Vantage Sensitivity und damit verbundenen Stärke entwickeln kann, sind sie auf eine feinfühlige und verständnisvolle Begleitung angewiesen.
Grundmerkmale hochsensibler Kinder
- Emotionale Intensität: Hochsensible Kinder empfinden Freude, Trauer oder Wut oft intensiver als andere. Ihre Gefühlswelt ist vielschichtig und facettenreich.
- Sensorische Empfindsamkeit: Ihre Filter gegenüber Sinnesreizen sind durchlässiger. Geräusche, Gerüche, taktile Wahrnehmungen, Lärm oder visuelle Reize können schnell überwältigend wirken.
- Verarbeitungstiefe: Sie reflektieren Erlebnisse und Emotionen sehr tiefgehend, was sie besonders empathisch und nachdenklich macht. Dadurch benötigen sie oft mehr Zeit, um neue Situationen zu verarbeiten und sich auf Veränderungen einzustellen.
- Überstimulation: Eine Vielzahl an Reizen kann zu Erschöpfung oder Rückzug führen.
Hochsensibilität testen: Ist mein Kind hochsensibel?
Die Identifikation von Hochsensibilität ist ab etwa drei Jahren möglich. Eltern bemerken häufig früh Anzeichen wie Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Stoffen, lauten Geräuschen oder eine ausgeprägte Beobachtungsgabe. Neben etablierten Fragebögen, wie denen von Elaine Aron, nutze ich in meiner Praxis individuell angepasste Fragen, um eine präzise Einschätzung zu ermöglichen. Hier finden Sie einen Fragebogen zur Einschätzung (E. Aron) der Hochsensibilität Ihres Kindes. Diese Fragebögen werden aufgrund einer Selbsteinschätzung oder einer Fremdeinschätzung durch die Eltern ihres Kindes vorgenommen.
Wichtig zu wissen ist, dass Hochsensibilität kein Krankheitsbild ist, sie lässt sich jedoch als neurodiverse Veranlagung einordnen.
Bei anderen neurodiversen Diagnosen wie z. B. Hochbegabung werden validierte psychologische Testinstrumente eingesetzt. Somit unterscheidet sich eine solche diagnostische Beurteilung sehr stark von der Einschätzung der Hochsensibilität mit einem Fragebogen, der nur auf einer Selbst- oder Fremdeinschätzung der Eltern basiert.
Hochsensibilität kann sich mit anderen neurodiversen Merkmalen überschneiden, wie etwa Hochbegabung, Autismusspektrumstörungen oder Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen (AD(H)S).
Viele Eltern von sehr sensitiven Kindern empfinden die Anregungen aus der Literatur zur Hochsensibilität als sehr hilfreich. Ein erster Schritt in der Begleitung der Kinder in herausfordernden Situationen ist daher das Anwenden der Tipps aus dieser Literatur. Falls diese über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahr keine ausreichende Wirkung zeigen oder mögliche Überschneidungen mit anderen neurodiversen Diagnosen, wie oben beschrieben, vermutet werden, ist ein Gespräch mit einer Fachperson ratsam. Dies kann ein Kinderarzt, insbesondere ein Entwicklungspädiater, oder ein Schulpsychologe sein. Gerne kann auch ich auf Grundlage eines Fragebogens eine Ersteinschätzung vornehmen und Sie an die entsprechenden Fachpersonen weiterverweisen.
Generell ist die Forschung zur Hochsensibilität noch jung, und die Erkenntnisse entwickeln sich stetig weiter.
Häufige Herausforderungen im Alltag hochsensibler Kinder – und wie damit umgehen
Hochsensible Kinder begegnen im Alltag besonderen Herausforderungen, insbesondere im schulischen Umfeld oder im Kindergarten. Eltern und Lehrpersonen berichten häufig von Überreizung, emotionaler Belastung oder hohem Leistungsdruck.
Überreizung
Laute Geräusche, Hektik oder unruhige Umgebungen können hochsensible und begabte Kinder schnell überwältigen. Wenn zu viele Reize gleichzeitig auf sie einwirken, führt dies oft zu Stress, Erschöpfung oder emotionalen Reaktionen.
Reizreduktion – Was hilft?
- Rückzugsorte schaffen: Eine ruhige Arbeitsecke oder geschlossene Schränke im Kinderzimmer bieten Schutz vor äußeren Reizen.
- Reizquellen minimieren: Weniger ist mehr – eine reduzierte, aufgeräumte Umgebung sowie eine sanfte Beleuchtung senken die visuelle Belastung.
- Akustische Reize dämpfen: Teppiche, Vorhänge oder geräuschdämmende Kopfhörer können störende Geräusche abmildern.
- Regelmäßige Pausen einplanen: Strukturierte Ruhezeiten helfen dem Nervensystem, sich zu regenerieren und Reize besser zu verarbeiten.
Mit einer bewussten Gestaltung des Umfelds lässt sich die Reizmenge gezielt reduzieren, sodass Kinder sich ausgeglichener und wohler fühlen.
Emotionale Belastung durch soziale Dynamiken
Hochsensible Kinder sind oft sehr empathisch und möchten alles „richtig“ machen. Es fällt ihnen schwer, Grenzen zu setzen oder Kritik zu verarbeiten. Viele wirken in der Schule angepasst, zeigen ihre Belastung jedoch erst zu Hause. Dadurch bleiben ihre Bedürfnisse oft unbemerkt.
Unterstützung bei der Emotionsregulation
Um ihre Gefühle besser zu verstehen und zu verarbeiten, benötigen sie gezielte Unterstützung. Sie brauchen Hilfe dabei, ihre Emotionen zu erkennen und Strategien zu entwickeln, um diese zu regulieren.
Hohe Ansprüche an sich selbst
Manche hochsensible Kinder setzen sich selbst unter starken Leistungsdruck. Dies kann dazu führen, dass sie besonders langsam arbeiten, Angst vor Fehlern entwickeln oder Aufgaben vermeiden.
Unterstützung und Stärkung
- Fokus auf Wachstum statt Perfektion: Erklären Sie Ihrem Kind, dass Fähigkeiten durch Übung wachsen und Fehler ein natürlicher Teil des Lernens sind.
- Nuanciertes Feedback geben: Wertschätzen Sie nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Prozess und die Anstrengung.
- Fehlerfreundliche Umgebung schaffen: Kinder brauchen ein sicheres Umfeld, in dem sie Neues ausprobieren können, ohne Angst vor Kritik zu haben.
- Vorbild sein: Teilen Sie offen Ihre eigenen Lernprozesse und zeigen Sie, wie Sie mit Herausforderungen umgehen.
Stress
Zeitdruck und der eigene Stress als Elternteil wirken sich direkt auf das Wohlbefinden des Kindes aus. Hochsensible Kinder nehmen Stimmungen in ihrer Umgebung besonders intensiv wahr – auch unausgesprochene Emotionen. Deshalb ist es umso wichtiger, auf die eigenen Energien und Ressourcen zu achten, um das Kind ruhig und entspannt begleiten zu können.
Mangelnde Selbstwahrnehmung
Einige hochsensible Kinder nehmen ihre eigenen Bedürfnisse nicht sofort wahr. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn ein Kind den ganzen Nachmittag intensiv spielt und erst danach erschöpft ist. Manche Kinder bemerken körperliche Bedürfnisse wie Hunger oder Harndrang nicht rechtzeitig – zum Beispiel in der Schule, wenn sie den Znüni vergessen und unterzuckert nach Hause kommen.
Die Selbstwahrnehmung stärken
Kinder brauchen Unterstützung, um ihre eigenen Bedürfnisse besser wahrzunehmen. Hier hilft die Marte Meo-Methode, indem Bedürfnisse in Worte gefasst werden:
„Dein Bauch knurrt, du bist ganz hibbelig – du hast Hunger.“
„Du gähnst, deine Augen sehen müde aus – du brauchst eine Pause.“
Dadurch lernen Kinder, ihre Empfindungen bewusst zu erkennen und auszudrücken.
Weitere Anregungen
Die Förderung hochsensibler Kinder erfordert Einfühlungsvermögen, eine ressourcenorientierte Herangehensweise und klare Strukturen. Sowohl Eltern als auch Lehrkräfte können wichtige Anker sein:
- Strukturen schaffen: Klare Tagesabläufe, Rituale und transparente Kommunikation geben Stabilität. Hochsensible Kinder reagieren besonders gut auf eine sanfte, wertschätzende Kommunikation.
- Freiräume ermöglichen: Unstrukturierte Zeiten für freies Spiel oder kreative Aktivitäten stärken die Selbstwahrnehmung, Selbstvertrauen und fördern die Persönlichkeit des Kindes.
- Stärkenorientierung: Projekte und Aktivitäten, die auf den Interessen des Kindes basieren, fördern nicht nur Talente, sondern auch das Selbstbewusstsein. Enrichment-Programme oder kreative Freiräume sind hier besonders wertvoll.
Marte Meo-Methode: Ein besonderer Ansatz für hochsensible Kinder
Die Marte Meo-Methode ist eine videobasierte, entwicklungsorientierte Kommunikationsmethode, die Eltern hilft, intuitiv gelingende Elemente ihrer Interaktionen zu erkennen und bewusst einzusetzen. Besonders wertvoll ist, dass die Interaktionen sehr konkret analysiert werden. Dadurch können gezielt passende und individuell abgestimmte Anregungen mithilfe von Filmsequenzen vermittelt werden. Kurze Ausschnitte aus dem Alltag werden betrachtet, um positive Kommunikationsmomente sichtbar zu machen.
Hochsensible Kinder profitieren von dieser Methode, da sie:
- ihre Selbstwahrnehmung verbessern,
- Vertrauen in ihre Fähigkeiten aufbauen,
- sich besser regulieren und ausdrücken können.
Diese Methode unterstützt Kinder dabei, sich selbst besser zu verstehen, sich abzugrenzen und achtsam mit ihren Eigenheiten umzugehen. In meiner Praxis kombiniere ich die Marte Meo-Methode oft mit stärkenorientierter Begabungsförderung, um die Sensibilität der Kinder als Ressource erfahrbar zu machen.
Die Marte Meo-Methode in der Praxis
Durch gezielte Videoanalysen können Eltern erkennen, welche unterstützenden Elemente in der Kommunikation bereits gut funktionieren und welche weiter gestärkt werden können. Das Besondere an dieser Methode ist der ressourcenorientierte Ansatz: Nicht das Problem steht im Fokus, sondern die Stärken und Fähigkeiten des Kindes. Dadurch entsteht eine wertschätzende Atmosphäre, in der Kinder sich sicher fühlen und sich in ihrer Entwicklung entfalten können.
Mit Marte Meo können Eltern und Fachpersonen lernen, feinfühlig auf die Bedürfnisse hochsensibler Kinder einzugehen und sie in ihrer Selbstwahrnehmung und emotionalen Entwicklung nachhaltig zu stärken.
Hochsensible Kinder stärken – Ein Weg voller Möglichkeiten
Hochsensible Kinder tragen eine besondere Gabe in sich: ihre tiefe Wahrnehmung und Empathie. Mit der richtigen Begleitung können sie lernen, diese Eigenschaften als Stärke zu nutzen. Eine ressourcenorientierte Unterstützung, wie sie durch die Marte Meo-Methode, kreative Projekte und klare Strukturen ermöglicht wird, gibt ihnen das Fundament, um selbstbewusst und gestärkt ihren individuellen Weg zu gehen.
Mit Einfühlungsvermögen und gezielter Begleitung können hochsensible Kinder lernen, ihre Feinfühligkeit als Ressource für ein erfülltes Leben einzusetzen.
Haben Sie Fragen oder möchten Sie mehr darüber erfahren, wie Sie Ihr hochsensibles Kind bestmöglich unterstützen können? Ich begleite Sie gerne auf diesem Weg. Kontaktieren Sie mich per E-Mail unter
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