Dieses Interview entsand im Rahmen eines Zoom Talks geführt, hier nun in schriflticher Form.
Der EHK ist seit langem mit der Begabtenspezialistin Kathrin Berweger verbunden. Sie wurde von Meret Wirz interviewt, Auszüge sind als Videos auf der Website zu finden. Anbei ein kleiner Einlick.
Was ist Hochsensibilität?
Hochsensibilität oder Hochsensitivität ist eine Persönlichkeitsdisposition, welche mit einer höheren sensorischen Verarbeitungssensitivität (sensory-processing sensitivity) einhergeht.
Diese zeichnet sich durch eine intensivere Wahrnehmung von Reizen aus. Hochsensible Menschen haben gewisse Grundmerkmale gemeinsam: Sie nehmen mehr Informationen auf, sie brauchen länger, um sie zu verarbeiten, das kann eine Überreizung zur Folge haben. Sie sind sensorisch empfindlich und erleben ihre Gefühle emotional intensiv. Die sensorische Empfindlichkeit bezieht sich auf die Sinne - visuell, akustisch, Geruch, Geschmack und taktil. Diese Empfindsamkeit führt oft zu Problemen im Erziehungsalltag, wie z. B. Konflikte vor dem Kleiderschrank oder beim Essen. Die Sensitivität teilt sich noch in weitere Bereiche auf wie sensorisch, emotional, imaginär, intellektuell und psychomotorisch.
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Hochsensibilität J.T. Webb - Intellektuelle Sensitivität- Schnittfläche zu Hochbegabung
Den intellektuellen Sensitivitätsbereich erlebe ich oft als Schnittfläche zur Hochbegabung. Wenn ein Kind in diesem Bereich sehr viele Merkmale aufweist, dann ist die Hochbegabung wahrscheinlich. Einige typische Merkmale in diesem Sensitivitätsbereich sind neugierige und untersuchende Fragen, ungeduldige und verärgerte Stimmung, wenn man ihr Interesse nicht teilt und sie intellektuell sehr interessiert sind. Ausgeprägte Merkmale des emotionalen, imaginären, sensorischen und psychosomatischen Sensivitätsbereichs gehen aus meiner Sicht nicht zwingend mit einer Hochbegabung einher. Kinder mit hoher imaginärer Sensitivität haben oft viel Fantasie, lieben komplexe Abläufe und Rollenspiele, tauchen in Welten und können manchmal Fantasie und Realität nicht gut unterscheiden. Das kann es für die Eltern anspruchsvoll machen, mit ihnen im Erziehungsalltag in Kontakt zu treten. Sie haben viel Fantasie, die sie anregt beim Zeichnen, Schreiben und anderem. Gleichzeitig kann diese auch zu vermehrten Ängsten führen und zu Gedanken, was alles passieren könnte.
Existenzielle Fragen von jungen hochbegabten Kindern
Schon sehr kleine Kinder können sehr komplex, vertieft und weitreichend über schwierige und existentielle Fragen nachdenken. Sehr neugierig und erforschend denken sie über vieles nach. Das kann der Tod sein, oder auch das, was in 10 Jahren sein könnte. Als Eltern können einem solche Fragen einen Schrecken einjagen. Dennoch ist es wichtig, sein Kind auch in diesen Fragen zu begleiten und Dinge nicht zu tabuisieren. Idealerweise regt man die Kinder an, mit ihren Fragen auch eigene Ideen und Lernwege zu beschreiten, z. B. mit Zeichnen. Gewisse Fragestellungen werden natürlich auf einer Erwachsene-Ebene nochmals auf eine andere Art besprochen.
Schwierige Kombination Hochsensibilität und Hochbegabung
Hochsensibilität und Hochbegabung ist eine anspruchsvolle Kombination für die Begleitung der Kinder. Einerseits brauchen hochsensible Kinder viel Ruhezeiten, damit sie ihr Potential entfalten können, ihr hochbegabtes Gehirn braucht andrerseits passende geistige Nahrung, damit es ihnen wohl ist. Gar nicht so einfach, diese beiden Aspekte in ein gutes Gleichgewicht zu bringen. Oft funktionieren gängige Erziehungstipps bei diesen Kindern nicht. Meine Erfahrung der letzten 15 Jahre aus Elternkursen und Beratung zeigt: Achtsames Verstehen ihres begabten und sensiblen Kindes hilft Ihnen, Erziehungslösungen zu entwickeln und sich in ihrer elterlichen Kompetenz zu erleben».
Überreizte unterforderte hochsensible Hochbegabte
Gewisse Reaktionen einer Überreizung bei Hochsensibilität und einer Unterforderung bei Hochbegabung überschneiden sich: Hohe Anpassung, sich zurückziehen, das Vertrauen verlieren, psychosomatische Reaktionen, auffälliges Verhalten zuhause oder in der Schule. Hochsensible Kinder profitieren sehr von einer Stärkung ihres Selbstvertrauens, ihrer Selbstwahrnehmung und ihrer Selbstregulierung. So lernen sie sich immer besser wahrzunehmen, sich nah zu sein und für ihre Bedürfnissen schrittweise selbstständiger einstehen zu können. Um die Unterforderungssymptome zu reduzieren, braucht es zwingend individuelle passende pädagogische Interventionen wie das Überspringen, Begabungs- und Begabtenförderung, Pull out, Gelegenheiten sich mit Peers auszutauschen oder auch ein Mentorat.
Hochbegabte hochsensible Kinder im Schulalltag
Bei emotional und sensorisch besonders sensitiven Kindern kann sich das Verhalten in der Schule und zu Hause sehr unterscheiden. Im Schulkontext ist das Kind möglicherweise sehr scheu, verbal zurückhaltend, möchte keine Fehler machen, angepasst. Wenn es nach Hause in die gewohnte Umgebung kommt, lässt es dort den «Dampf» ab. Die Eltern spüren im familiären Umfeld die Überreizung und Anspannung, welche das Kind in der Schule erlebt. Dieser Umstand ist für Eltern in Gesprächen mit den Lehrpersonen nicht immer einfach zu erläutern. Gerade auch, da sich diese Schwierigkeiten in der Schule durch die grosse Anpassung des Kindes kaum zeigen. Diese Kinder profitieren sehr von einer feinfühligen und empathischen Begleitung in der Schule und zu Hause.
Wie kommuniziere ich mit der Schule die Hochsensibilität des Kindes?
Es ist sinnvoll, die Kommunikation über die Hochsensibilität ihres Kindes an die Begebenheiten vor Ort anzupassen. Generell mache ich gute Erfahrungen damit, wenn Eltern beobachtend und möglichst wertfrei schildern, wie sie ihr Kind erleben und womit sie gute Erfahrungen machen. Den Begriff Hochsensibilität oder auch Hochsensitivität verwende ich eher zurückhaltend, um eine Stigmatisierung zu vermeiden. Ab und zu kommen Eltern zu mir, die durch die Lehrperson auf das Thema aufmerksam gemacht wurden. Auch hier gilt «Stärken stärken schwächt Schwächen». Wenn man Kinder empathisch begleitet, können sie aus ihrer Sensitivität eine Stärke entwickeln.
Im Folgenden wird ein Einblick gegeben, wie Kathrin Berweger Konzelmann Kinder und Eltern begleitet.
Stärken und entwicklungsorientierter Fokus
In den Mentoraten, 1:1-Begabtenförderung, stehen die Stärken und Interessen der Kinder im Vordergrund. Individuelle Lernwege begleite ich im Bereich Kunst und visuell räumlichen Projekten, dabei sind viele Fähigkeiten wie Rechnungen, schreiben, Fotografieren, Filmen und vieles mehr möglich. Auch in den videobasierten Elterncoachings nach der Marte Meo Methode steht das Gelingende im Zentrum. Der Coaching Prozess startet mit der Auswertung von Fragebogen, die erste Hinweise für Erziehung und Förderung geben. Zusammen kristallisieren wir eine Ausgangsfrage heraus an der wir im Coaching Prozess arbeiten. Oft betreffen diese Frage starke Gefühle, der Aufbau von Selbstvertrauen, perfektionistische Tendenzen, Begleiten von unausgeglichenen Begabungsprofilen, Selbstwahrnehmung und Selbstregulierung und das Thema Abgrenzung. Filmsequenzen machen sichtbar auf was das Kind besonders gut reagiert und wie man es gut unterstützend und fördern kann. Effektiv und handlungsorientiert werden hilfreiche nächste Übungsschritte vermittelt. Manchmal sind hochsensible Kinder reizoffen und schnell abgelenkt. Da geht es um Aspekte wie «an der Arbeit bleiben» oder auch «den Fokus zurückzulenken». Sehr gerne arbeite ich auch videobasiert direkt mit den Kindern. Mit kurzen Filmsequenzen zeige ich ihnen was sie besonders gut machen. So haben sie ein Bild von einem gelingendes Selbstmodell und wissen nun genau auf was sie achten könnten. Die Marte Meo Methode erlebe ich beim Kontaktaufbau mit den Kindern als sehr hilfreich.
Marte Meo – Kinder in ihrer Selbstwahrnehmung und Regulierung stärken
In dieser Methode geht man davon aus, dass die Basis der Selbstregulierung die Selbstregistrierung (Selbstwahrnehmung) ist. Mit anderen Worten, das Kind muss sich zuerst selbstwahrnehmen können, damit es sich regulieren kann. Die Gefühlsregulierung ist ein Aspekt der Selbstregulierung, weitere sind Selbstorganisation, Selbststeuerung und Problemlösefertigkeiten. Wenn Kinder sehr schnell wütend werden, sich nicht beruhigen können und grosse Mühe haben bei Regelspielen zu verlieren, deutet das darauf hin, dass sie mit Unterstützung besser lernen können mit ihren Gefühlen umzugehen. Gerade bei hochbegabten Kindern, kann sich ihr intellektuelles Tempo und das ihrer Selbstwahrnehmung sowie der Gefühlsregulierung stark unterscheiden. Die Kinder in ihren Gefühlen begleiten kann man, indem man ihnen wert- und urteilsfreie Worte gibt oder auch emotionale Töne nutzt. Generell kann die Selbstwahrnehmung der Kinder gestärkt werden, indem man ihnen aufmerksam folgt, ihre Gesichtssignale liest, Gefühle und Handlungen benennt. Ein weiteres Thema, das besonders bei emotional sehr sensitiven Kindern oft auftritt, ist ihre grossartige Empathie, manchmal mit der Folge, dass es für sie schwierig ist, sich abzugrenzen. Marte Meo spricht hier von der Ich- und Du-Entwicklung, bei der das Kind in seiner Ich-Entwicklung und auch der Fähigkeit zur Abgrenzung unterstützt wird. Das, indem sehr sorgfältig auf das ICH und DU geachtet wird. Viele Erziehungstipps und -kniffs funktionieren bei hochbegabten und sehr sensiblen Kindern nicht, man läuft Gefahr in eine belastende Negativspiralen zu geraten.
Wie erfahre ich von meinem Kind was nicht stimmt?
Gerade in unsichere oder neue Situation neigt man dazu den Kindern viele Fragen zu stellen. Das ist ein sehr verständliches Vorgehen. Manchmal antworten die Kinder, vielleicht kommt es aber auch nur zu einem mmh oder gerade diese einige Frage war zu viel und das Kind reagiert mit einem Wutausbruch. Viel hilfreicher ist es oft, dem Kind Wörter zu geben, wie z.B. «du bist müde», «du denkst ganz intensiv» nach. Dieses Vorgehen aktiviert Kinder oft mehr als Fragen. Zu viele Fragen können den Effekt haben, dass die Kinder sich von sich und ihrer Selbstwahrnehmung entfernen.